August Wilhelm Hupel (1737 – 1819)ÜbersichtLebenAugust Wilhelm Hupel wurde am 25. Februar 1737 in Buttelstedt, in der Familie eines Geistlichen des Herzogtums Sachsen-Weimar, geboren. Sein Vater, der ihm den ersten Unterricht erteilte, schickte ihn 1748 nach Weimar, wo er das Stadtgymnasium besuchte. Weitaus mehr geistige Impulse bekam Hupel an der Universität Jena, wo er von 1754 bis 1757 studierte. Zunächst fühlte er sich zu philologischen Fächern, zu den Naturwissenschaften sowie der Mathematik hingezogen, doch nach dem Tod seines Vaters musste er sich auf sein Brotstudium, die Theologie konzentrieren. Neben den Bibelsprachen lernte Hupel in Jena noch Italienisch, Englisch und vor allem Französisch. Als jungem Theologiekandidaten gelang es Hupel, eine Hofmeisterstelle in Nordlivland zu finden. Nachdem er im Herbst 1757 mit dem Schiff in Riga angekommen war, wirkte er als Hofmeister irgendwo im Kreis Dorpat (Tartu) oder Fellin (Viljandi), spätestens ab 1758 im Kirchspiel Ecks (Äksi) im Kreis Dorpat. Für eingewanderte Theologen war der Dienst als Hofmeister in der Regel nur ein Trittbrett zu einer Pfarrstelle mit einem anständigeren Einkommen. Für Hupel wurde diese Wartezeit nicht allzu lang, denn schon am 14. Februar 1760 wurde er in Ecks zum Pastor ordiniert. Am 17. März desselben Jahres heiratete Hupel die Witwe des letzten Pastors von Ecks, Christine Elisabeth Dehn. In dieser Ehe wurde am 11. Februar 1761 ein Sohn geboren, leider starb die Mutter jedoch an den Folgen der Entbindung zwei Monate später. Ein Jahr danach starb auch der Sohn. Im Oktober 1763 wurde Hupel nach Oberpahlen (Põltsamaa) berufen, wo er am 14. März 1764 das Pfarramt antrat. In Oberpahlen heiratete Hupel zum zweiten Mal. Aus seiner Ehe mit Barbara Christine von Spandekau ging ein Sohn hervor, der schon im Säuglingsalter starb, so dass Hupel kinderlos blieb. Hupels Amtszeit als Pastor in Oberpahlen fällt in die wirtschaftliche und kulturelle Glanzzeit dieses livländischen Fleckens. Oberpahlen, wo Elemente des Lebensstils von Stadt und Land zusammentrafen, wurde für Hupel zu einer angenehmen Wohnumgebung, die er vielen verlockenden Arbeitsangeboten (u.a. der Stelle des livländischen Generalsuperintendenten) zum Trotz nicht mehr verlassen wollte. Von den Einkünften her, die ein livländischer Pastor bezog, war das Kirchspiel Oberpahlen eines der wohlhabensten, was Hupel einen gewissen wirtschaftlichen Wohlstand gewährleistete. Dies ermöglichte ihm, neben der Erfüllung kirchlicher Amtspflichten, sich völlig der wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit zu widmen. In Oberpahlen fühlte sich Hupel vom europäischen Kulturleben gar nicht abgeschieden, denn sein Freund, der berühmte Verleger und Buchhändler aus Riga, Johann Friedrich Hartknoch, versorgte ihn ständig mit der neuesten Literatur. Mit Hartknochs Unterstützung gründete Hupel Anfang der 1770er Jahre in Riga eine Lesegesellschaft, die bis zum Ende der 1790er Jahre existierte. Ende 1804 gab Hupel das Pfarramt in Oberpahlen auf und ließ sich im Mai 1805 im estländischen Weißenstein (Paide) nieder, wo er am 6. Januar 1819 starb. Wissenschaftliche und publizistische TätigkeitAls Schriftsteller trat Hupel zum ersten Mal im Jahre 1766 mit der populärmedizinischen Zeitschrift „Lühhike öppetus“ („Eine kurze Lehre“) hervor, die er aus dem deutschsprachigen Manuskript von Peter Ernst Wilde ins Estnische übersetzt hatte. 1771 legte Hupel die estnische Übersetzung einer anderen populärmedizinischen Handschrift von Wilde vor: „Arsti ramat nende juhhatamiseks, kes tahtwad többed ärra-arwada ning parrandada“ („Ein Arztbuch zur Anweisung derer, die Krankheiten diagnostizieren und heilen wollen“). Die beiden volksaufklärerischen Werke zeugen von den schon recht guten Estnischkenntnissen von Hupel: der Wortschatz ist volksnah und facettenreich, doch enthält die Sprache viele Germanismen. Zugleich dokumentieren diese Werke die damalige, zum Teil von Hupel selbst erschaffene medizinische Lexik. Texte in estnischer Sprache blieben in Hupels Schaffen jedoch eher eine Ausnahme, die meisten seiner Werke erschienen auf Deutsch bei Hartknoch in Riga. Seine früheren Werke, die sich vor allem mit abstrakter Problematik befassen, entbehrten eines unmittelbaren Zusammenhangs mit dem Baltikum. Vielmehr sind sie ein lebhaftes Zeugnis davon, dass Hupel sich auch in Obarpahlen in erster Linie als Bürger der deutschen „Gelehrtenrepublik“ fühlte. Eines seiner ersten Werke, der 1771 anonym erschienene Aufsatz „Dienstfreundliches Promemoria an die, welche den Herrn Moses Mendelssohn durchaus zum Christen machen wollen, oder sich doch wenigstens herzlich wundern, daß er es noch nicht geworden ist“ ist der Toleranzidee gewidmet. In der ersten Hälfte der 1770er Jahre veröffentlichte Hupel in Riga eine ganze Reihe populärwissenschaftlicher Schriften: 1771 erschien „Vom Zweck der Ehen, ein Versuch, die Heurath der Castraten und die Trennung unglücklicher Ehen zu vertheidigen“, 1772 „Origenes oder von der Verschneidung, über Matth.19. v. 10–12. Ein Versuch, zur Ehrenrettung einiger gering geachteten Verschnittenen“, 1774 anonym „Anmerkungen und Zweifel über die gewöhnlichen Lehrsätze vom Wesen der menschlichen und der thierischen Seele“. „Origenes“ und „Vom Zweck der Ehen“ setzen sich mit Fragen der Sexualethik auseinander: mit dem Status von Kastraten und der Rechtmäßigkeit ihrer Heirat. Das Buch „Anmerkungen und Zweifel“ ist inhaltlich weiter gefächert und behandelt viele psychologische Fragen. Hupels Werke über die Heirat und die Kastraten haben in letzter Zeit das Interesse von Germanisten erweckt, die von der Hypothese ausgehen, dass diese Werke den berühmten Sturm-und-Drang-Autor, den jüngeren Landsmann Hupels, Jacob Michael Reinhold Lenz aus Dorpat, beeinflusst haben könnten. Im Vergleich zu den in vielerlei Hinsicht sehr freisinnigen populärphilosophischen Werken von Hupel stellt seine schroff negative Reaktion auf die Französische Revolution den Gegenpol zu dieser Haltung dar. In seinem 1791 in Riga anonym und ohne Angaben über den Druckort erschienenen Büchlein „Blicke auf Frankreichs jetzige Greuel, inwiefern sie das europäische Staatsinteresse betreffen“ lehnt Hupel die Revolution schon in ihrer Anfangsphase entschieden ab. Das eigentliche Forschungsgebiet für Hupel wurde aber die örtliche baltische Thematik. Schon sein 1772 anonym erschienenes Werk „An das lief- und ehstländische Publicum“ ist gänzlich den Problemen seiner neuen Heimat gewidmet. Dieses Büchlein, das viele Reformpläne und Anregungen enthält, wurde zum Auftakt seines Hauptwerkes „Topographische Nachrichten von Lief- und Ehstland“, mit dem er seinen Namen in der Kulturgeschichte des Baltikums verewigte. Das ursprünglich zweibändig geplante Werk erschien wegen der dem Autor reichlich zugesandten Materialien 1774, 1777 und 1782 in drei Bänden. Aus Anlass der von Katharina II. in Estland und Livland eingeführten Stadthalterschaftsregierung stellte Hupel auch noch einen vierten Ergänzungsband „Die gegenwärtige Verfassung der Rigischen und der Revalschen Statthalterschaft. Zur Ergänzung der topographischen Nachrichten von Lief- und Ehstland“ zusammen, der 1789 im Druck erschien. Hupels Topographie ist ein Sammelwerk, das viele Lebensbereiche der Ostseeprovinzen zusammenfasst und eine aufschlussreiche Übersicht über die Natur und Verwaltung sowie die ständische Struktur Liv- und Estlands gibt. Besonders bemerkenswert ist die sachverständige und detailreiche Schilderung der Lebensweisen der estnischen und lettischen Bauern. 1781 begann Hupel mit der Herausgabe der allgemeinwissenschaftlichen Zeitschrift „Nordische Miscellaneen“, der 1792 die Fortsetzungsausgabe „Neue Nordische Miscellaneen“ recht ähnlichen Inhalts folgte. Dem Erscheinen der Zeitschrift setzte 1798 die Zensurpolitik von Kaiser Paul I. ein frühes Ende. Insgesamt erschienen die „Nordischen Miscellaneen“ in 28 und die „Neuen Nordischen Miscellaneen“ in 18 Lieferungen. Die Zeitschrift führte die topographische Ergründung der baltischen Länder fort und publizierte zahlreiche Beiträge von Hupels Mitarbeitern zur Geschichte und Genealogie sowie Quellenpublikationen. Gleichzeitig wurde die Zeitschrift zu einem Forum für Debatten über aktuelle Tagesfragen. Einer der Schwerpunkte in Hupels literarischer Tätigkeit war die Sammlung von Informationen über Russland und deren Vermittlung an die Leserschaft des Baltikums und Deutschlands. Neben seinen zahlreichen in Zeitschriften veröffentlichten Aufsätzen über Russland publizierte Hupel 1791 und 1793 das zweibändige Werk „Versuch, die Staatsverfassung des russischen Reichs darzustellen“, das seine Forschungsergebnisse zusammenfasste. Die Russland-Apologetik in Hupels Schriften rührt zu einem Großteil von seinem Glauben an die Politik des aufgeklärten Absolutismus von Katharina II. her. Hupel setzte seine Beschäftigung mit der estnischen Sprache fort, erreichte jedoch auf diesem Gebiet keine besonders große Originalität und stützte sich dabei in erheblichem Maße auf die frühere Grammatik der estnischen Sprache sowie auf das Wörterbuch von Anton Thor Helle. 1780 gab Hupel seine „Ehstnische Sprachlehre“ heraus, die die Grammatik und ein Wörterbuch sowohl der nordestnischen (revalestnischen) als auch der südestnischen (dörptestnischen) Sprache enthält. 1818 erschien Hupels „Ehstnische Sprachlehre“ mit dem wesentlich ergänzten Wörterbuchteil im kurländischen Mitau (Jelgava) in einer zweiten Auflage. Das Ergebnis von Hupels langjähriger landwirtschaftlichen Tätigkeit ist sein 1796 erschienenes Werk „Oekonomisches Handbuch für Lief- und Ehstländische Gutsherren, wie auch für deren Disponenten; darinn zugleich Ergänzungen zu Fischers Landwirtschaftsbuche geliefert, auch für auswärtige Liebhaber die Liefländischen Verfahrungsarten hinlänglich dargestellet werden“ (1796), das als ergiebige Quelle für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte seine Topographie ergänzt. Dieses Werk ist eine Fortsetzung älterer landwirtschaftlicher Handbücher des Baltikums, ein direktes Vorbild für Hupels Buch war das 1753 erschienene „Liefländische Landwirtschaftsbuch“ des Rigaer Arztes Johann Bernhard von Fischer. Die Tatsache, dass Hupel auch in Liv- und Estland über die gesamteuropäische Literatur gut im Bilde war, beweist seine andauernde Tätigkeit als Mitarbeiter der berühmten deutschen Rezensionszeitschrift „Allgemeine Deutsche Bibliothek“ von Friedrich Nicolai. 1773–1797 rezensierte Hupel für Nicolais Zeitschrift Hunderte von Büchern vieler Wissenschaftsbereiche. Er verfasste auch Beiträge für andere Zeitschriften, wie z. B. „Acta historico-ecclesiastica nostri temporis“, „Historisches Portefeuille“ und „Russische Bibliothek“. Als Gelehrter, Publizist und Organisator war August Wilhelm Hupel in der baltischen „Gelehrtenrepublik“ eine zentrale Figur. Seine Ansichten waren repräsentativ für die ältere Generation der livländischen Aufklärer im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, als die Aufklärungsbewegung durch politische Umwälzungen und aufgekommene neue geistige Strömungen noch nicht in Frage gestellt worden war. Indrek Jürjo |