Elisa von der Recke (1754 – 1833)ÜbersichtKindheit und JugendCharlotte Elisabeth Constantia von der Recke wurde am 20. Mai (1. Juni) 1754 auf dem kurländischen Rittergut Schönberg (Skaistkalne) im Kreis Bauske (Bauska) in der Familie des Grafen Johann Friedrich von Medem und dessen Frau Louise Dorothea von Medem (geb. von Korff) geboren. Ihre Kindheit stand im Schatten des frühen Todes ihrer Mutter im Jahre 1758. Danach wuchs sie bei ihrer Großmutter mütterlicherseits, Constanzia Ursula von Korff (geb. von der Wahlen, 1698–1790), auf dem benachbarten Rittergut Brucken (Brukna) auf. Von den Jahren, die sie unter dem Drill ihrer dominanten und literaturfernen Großmutter, einer überzeugten Vertreterin der patriarchalen Welt, verbrachte, sowie von ihrer Erziehung, deren erklärtes und alleiniges Ziel die Heirat war, handelt ihr Werk „Selbstbiographie Elisas von der Recke. Von ihrer Geburt bis zu ihrer Verlobung (1754–71)“ (verfasst 1795, erschienen 1900), ein Text, den man für die früheste Autobiographie einer baltischen Frau halten kann. Im Jahre 1766 zog Elisa von der Recke (damals noch Charlotte bzw. Lottchen) zu ihrem Vater auf dessen Rittergut Alt-Autz (Vecauce) im Kreis Tuckum (Tukums). Agnesa (geb. von Brucken gen. Fock, verw. von Torck und von der Recke), die neue Gattin ihres Vaters, der inzwischen zum dritten Mal geheiratet hatte, war eine reiche Witwe, die Literatur schätzte und für ihre Stieftochter, die nun zum ersten Mal auch systematischen Unterricht erhielt, zu einer Art von geistigem Vorbild wurde. Vermutlich gerade in Nachfolge ihrer Stiefmutter verfasste die spätere Schriftstellerin auch ihre ersten Gedichte. Heirat und Ehe, G. D. Hartmann und Graf von CagliostroDie Kindheit Elisa von der Reckes endete, als sie an ihrem 17. Geburtstag verheiratet wurde. Der Ehemann, der ihr von ihren Eltern zugewiesen und von ihr schließlich akzeptiert worden war, war ein Gutsherr aus der Nachbarschaft, Georg Peter Magnus von der Recke (1739–1795), ein Baron, der fünfzehn Jahre älter war als sie. Die Frischvermählten zogen auf das Heimatgut des Ehemannes in Neuenburg (Jaunpils). Ab 1776 lebte Elisa von der Recke schon von ihrem Ehemann getrennt in der kurländischen Hauptstadt Mitau (Jelgava). Nach dem Tod ihres einzigen Kindes Friederike 1777, gefolgt vom Tod ihres einzigen Bruders Johann Friedrich von Medem 1778 in Straßburg, geriet Elisa von der Recke in eine tiefe Krise. Ihre unglückliche Ehe mit G. P. M. von der Recke, einem leidenschaftlichen Landwirt und Jäger, der keine geistigen Interessen kannte, wurde 1781 geschieden. Auf die Jahre während der Ehe in Neuenburg und Mitau konzentriert sich ihre Autobiographie in Briefen „Briefe Elisas von der Recke. Aus der Zeit ihrer unglücklichen Ehe (1771–78)“ (erschienen 1900). In Neuenburg lernte Elisa von der Recke Anfang 1775 Gottlob David Hartmann (1752–1775), den aus Württemberg gebürtigen Philosophieprofessor der Mitauer Academia Petrina und einen begabten Schriftsteller, kennen. Gemeinsam wurde der kurz zuvor in Deutschland erschienene Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) des etwa gleichaltrigen jungen Stürmers-und-Drängers Johann Wolfgang Goethe gelesen. Im gleichen Jahr beging Hartmann, verliebt in Elisa von der Recke, Selbstmord. Nach der Heirat ihrer jüngeren Halbschwester (Anna Charlotte) Dorothea mit dem letzten Herzog von Kurland, Peter von Biron (Bühren) im Jahre 1779 wohnte Elisa von der Recke hauptsächlich am Mitauer Hof. 1779 bekam der Hof Besuch von Giuseppe Balsamo, einem italienischen Abenteurer und einem der wohl größten Scharlatane des 18. Jahrhunderts, der im Rufe stand, ein Wunderheiler und Goldmacher zu sein und der unter dem Namen Alessandro Graf Cagliostro in ganz Europa bekannt war. Auch Elisa von der Recke gehörte zunächst zum Kreis der ergebenen Bewunderer dieses Mannes und trat sogar einer Freimaurerloge, die Graf von Cagliostro in Mitau gegründet hatte, bei. Das literarische Debüt und die ersten Werke1780 debütierte Elisa von der Recke mit dem Lyrikband „Geistliche Lieder einer vornehmen Churländischen Dame“. Diese anonym erschienenen Gedichte waren vertont von Johann Adam Hiller, einem bekannten deutschen Singspielautor. Drei Jahre danach wurde von J. A. Hiller die zweite Lyriksammlung Elisa von der Reckes, „Elisens geistliche Lieder“, herausgegeben (erstmalig benutzte die junge Dichterin hier den Namen Elisa – die Kurzform ihres zweiten Vornamens Elisabeth). 1789 erschien diese Sammlung auch in einer lettischen Übersetzung von Gotthard Friedrich Stender. Die Jahre 1784–1786 war Elisa von der Recke auf Reisen in Deutschland. Begleitet wurde sie von Sophie Schwarz (damals noch Becker), einer literarisch begabten und ambitionierten Pfarrerstochter von einem Nachbargut von Alt-Autz, mit der Elisa von der Recke schon seit ihrer Kindheit befreundet war. Kampf gegen Aberglauben, philantropische Tätigkeit1787 gab Elisa von der Recke das publizistische Werk „Nachricht von des berüchtigten Cagliostro Aufenthalte in Mitau“ heraus, das auf ihren persönlichen, schmerzhaften Erlebnissen beruhte und ein großer Erfolg wurde. Das Buch erschien im Verlag von Friedrich Nicolai, einer der Leitfiguren der deutschen Aufklärung, und unterstützte somit den Kampf der Berliner Aufklärer gegen den Aberglauben. Das Werk wurde bereits in seinem Erscheinungsjahr auf Initiative der russischen Zarin Katharina II. auch ins Russische übersetzt – eine Tatsache, die zugleich den Ruf von Elisa von der Recke in ihrer Familie verbesserte. Ende der 1780er Jahre kehrte Elisa von der Recke nach Mitau zurück. Nach dem frühen Tod ihrer Freundin Sophie Schwarz 1789 erschien der Lyrikband „Elisens und Sophiens Gedichte“ (1790), den die beiden kurländischen Frauen gemeinsam verfasst hatten, mit einem Vorwort aus der Feder von J. L. Schwarz, dem Ehemann von Sophie Schwarz. 1795 wurde Elisa von der Recke von Katharina II. als Dank für ihren Einsatz gegen den Aberglauben das Krongut Pfalzgrafen (Falcgrāve) bei Mitau in Kurland zur lebenslangen Benutzung zur Verfügung gestellt. Der philantropische Plan der Schriftstellerin, die Situation der Bauern von Subern (Sūbri), einem ihrer Güter im Kreis Goldingen (Kuldīga), zu verbessern, scheiterte nach der Ermordung von Zar Paul I. im Jahre 1801. Jahre in DeutschlandDer Lebenslauf von Elisa von der Recke ist eng mit der Gechichte ihrer Heimat Kurland verbunden. Der Anschluss Kurlands an Russland (1795) war einer der Gründe, warum sie ab 1797 vorwiegend in Deutschland lebte. Bis 1801 hielt sie sich vor allem in Dresden auf, danach in Berlin, während sie im Sommer oft in Löbichau bei Altenburg zu Gast war, auf einem Gut, das ihrer Schwester Dorothea gehörte und wo zahlreiche Größen der Zeit und der Literatur zusammentrafen (z. B. Jean Paul, Alexander I. u.v.a.). Nach einer Italienreise, die sie in den Jahren 1804–1806 machte und von der ihr „Tagebuch einer Reise durch einen Theil Deutschlands und durch Italien“ (1815–1817; auf Französisch 1819) berichtet, lebte Elisa von der Recke in Leipzig und Berlin, zusammen mit Christoph August Tiedge (1752–1841), einem deutschen Literaten, den sie schon Mitte der 1780er Jahre in Wülferode, im Landhaus des deutschen Schriftstellers Leopold Friedrich Günther von Göckingk, kennengelernt hatte. C. A. Tiedge war auch ihr letzter Reisebegleiter. 1818 ließ sich Elisa von der Recke dauerhaft in Dresden nieder, wo sie am 1. (13.) April 1833 auch starb. Sie liegt begraben auf dem Inneren Neustädter Friedhof in Dresden. ZusammenfassungCharakteristisch für viele Texte der zu ihren Lebzeiten ziemlich namhaften Autorin Elisa von der Recke, einer Rationalistin mit einem Hang zum Sentimentalismus, ist ein didaktischer Zug, der das Lesepublikum vor dem Hintergund ihrer persönlichen unangenehmen Erfahrungen vor ähnlichen Irrungen und Wirrungen warnt. Ihr vom religiösen Fanatismus handelndes Werk „Nachricht des berüchtigten Cagliostro“, in dem Tagebucheinträge als unmittelbarer Augenzeugenbericht einer jungen religiösen Schwärmerin, die sie zum Zeitpunkt der Begegnung mit diesem italienischen Scharlatan noch war, und die späteren rationalistischen Kommentare einer schon reiferen Autorin nebeneinander stehen, wird auch heute seine Aktualität noch nicht ganz eingebüßt haben. Die literarische Innovativität Elisa von der Reckes, die gegenüber den zeitgenössischen Literaturströmungen – etwa dem Sturm und Drang, der Weimarer Klassik sowie der Romantik – eher zurückhaltend eingestellt war, äußert sich vor allem im Genre der Autobiographie. Ihr autobiographisches Großprojekt ist durch eine bemerkenswerte Vielfalt gekennzeichnet: die Darstellung ihres Lebens in Gestalt nachträglich wiederholt revidierter und stilisierter monologischer Tagebücher, dialogischer Briefe und einer herkömmlicheren, in Prosaform verfassten Autobiographie (die aber als Novum in der damaligen Zeit die Rolle der Kindheit unterstreicht) hatte für sie in erster Linie das Ziel, sich ihrer selbst bewusst zu werden, und diente zugleich pädagogischen Zwecken. Die Vergabe der sorgfältig korrigierten autobiographischen Handschriften an öffentliche Bibliotheken deutet jedoch auch darauf hin, dass die Autorin mit der eventuellen Herausgabe dieser persönlichen Texte in der Zukunft gerechnet haben muss. Von Interesse ist zudem Elisa von der Reckes ambivalente Position zwischen Adel und Bürgertum, jene sogenannte ständische „Heimatlosigkeit“, die auch in ihrem Schaffen thematisiert wird. So werden etwa in ihrem einzigen Schauspiel „Familien-Scenen oder Entwickelungen auf dem Masquenballe“ (1826, entstanden 1794), einem Lesedrama in vier Akten, die intimen Beziehungen zwischen vier adligen Frauen und Männern unter die Lupe genommen, wobei für die ledige und gelehrte Frau, die bewusst auf ihre Mutterschaft verzichtet hat, Partei ergriffen wird. Obwohl man den zeitweiligen Erfolg der literarischen Werke von Elisa von der Recke, der ersten professionellen Schriftstellerin der baltischen Länder weniger ihrem Talent als vielmehr ihrer gesellschaftlichen Position, ihrer außergewöhnlichen Energie und ihrem freundlichen Charakter zugeschrieben hat (J. Eckardt), hat sie – wie auch ihre Zeitgenössin und Landsmännin Sophie Schwarz – sich ohne Zweifel große Verdienste für die geistige Emanzipation der baltischen Frauen erworben. Vahur Aabrams |