Eduard Ahrens (1803 – 1863)ÜbersichtLebenslaufEduard Ahrens wurde am 22. März (3. April) 1803 in Reval (Tallinn) als Sohn eines Kreisrevisors geboren. Seine estnische Herkunft ist zwar vermutet worden, aber die bisherigen Angaben weisen ihn als einen typischen estophilen Deutschbalten aus, dessen Vater aus Stralsund nach Reval gekommen war, und dessen Mutter einer einheimischen deutschbaltischen Familie entstammte. Eduard Ahrens lernte 1811–1819 an der Revaler Domschule und studierte danach 1819–1823 an der Dorpater (Tartuer) Universität Theologie. Da er sein Studium mit 20 Jahren beendete, aber erst mit 25 Jahren als Pastor tätig werden durfte, arbeitete er nach dem Studium eine Weile als Hauslehrer auf Gut Pickfer (Pikavere). Im Jahre 1830 bestand er vor dem Estländischen Konsistorium die Prüfung, die ihn dazu berechtigte, vor einer Gemeinde zu predigen. Ein Jahr später trat er das Pfarramt an. 1832 fuhr Eduard Ahrens nach Deutschland, um seine Kenntnisse zu erweitern. Er besuchte auch Frankreich. Im Jahre 1833 kam er nach Estland zurück, um auf Schloß Fickel (Vana-Vigala) als Hauslehrer zu arbeiten. In der Kirche von Fickel (Vigala) hielt er seine ersten estnischsprachigen Predigten. 1837 wurde er Pastor in Kusal (Kuusalu), und in diesem Amt blieb er 26 Jahre bis zu seinem Tod. 1860 erfolgte seine Ordination zum Propst Ostharriens (Ida-Harjumaa). Aufgrund seiner Arbeiten über die estnische Sprache und Volksdichtung wurde er 1845 zum Ehrenmitglied der Gelehrten Estnischen Gesellschaft (Õpetatud Eesti Selts) gewählt. Wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Vorsitzenden der Gesellschaft, F. R. Faehlmann, verzichtete er jedoch schon nach zwei Jahren auf diesen Titel. Seit 1842 war Ahrens ordentliches Mitglied der Estländischen Literärischen Gesellschaft (Eestimaa Kirjanduse Selts) und seit 1845 auch korrespondierendes Mitglied der Finnischen Literaturgesellschaft. Eduard Ahrens starb am 7. (19.) Februar 1863 in Reval an Lungenembolie 1807 heiratete Eduard Ahrens Rosalise Saltzmann. Sie hatten zwei Söhne (beide Knaben starben im Kindesalter) und eine Tochter. In der estnischen Kulturgeschichte hat Eduard Ahrens als Erneuerer der Rechtschreibung und als Verfasser der ersten estnischen Grammatik neuen Typs eine tiefe Spur hinterlassen. Eine wichtige Rolle spielte Ahrens als Kritiker der Kirchensprache und als leidenschaftlicher Befürworter einer volkstümlicheren Orthographie, obwohl er selbst keinen einzigen estnischen Text veröffentlichte. In seinen Aufsätzen in der Zeitschrift „Das Inland“ zog Ahrens die Echtheit von F. R. Faehlmanns Märchen in Zweifel und kritisierte scharf auch F. R. Kreutzwalds „Kalevipoeg“ sowohl von der sprachlichen Seite her als auch wegen des launischen Tons, der der estnischen Volkdichtung sonst fremd sei. Erneuerer der estnischen Gramamatik und RechtschreibungMit seiner Sprachauffassung begründete Eduard Ahrens eine neue Richtung in der estnischen Grammatikbeschreibung. Er verzichtete darauf, die estnische Grammatik am Beispiel des Lateinischen und Deutschen zu normieren und nahm die finnische Grammatik zum Vorbild. Er glaubte, die estnische Sprache sei „eine Tochter der finnischen Sprache“. Ahrens ging davon aus, dass die richtige estnische Sprache die Sprache sei, die die Bauern untereinander benutzten. So sammelte er mühsam volkssprachliche Beispiele, die ihm bei seiner Grammatik als Grundlage dienten. Schon seit dem frühen 19. Jahrhundert sind bahnbrechende Standpunkte der Ahrensschen Sprachauffassung veröffentlicht worden (von O. W. Masing, F. R. Faehlmann, A. F. J. Knüpffer und in vielen sprachwissenschaftlichen Aufsätzen von vielen anderen in der Zeitschrift „Beiträge” von J. H. Rosenplänter). Es war aber eben Eduard Ahrens, der als erster die neuen Standpunkte in einer systematischen Grammatikbeschreibung zusammenfaßte. Sein Buch „Grammatik der Ehstnischen Sprache Revalschen Dialektes“ erschien im Jahre 1843. Diese Ausgabe enthielt nur eine Formenlehre, später arbeitete er die Formenlehre um und fügte dem Buch Syntaxbeschreibungen hinzu, die man für die erste umfangreichste Satzlehre der estnischen Sprache halten kann. Die zweite, bearbeitete Ausgabe der Grammatik erschien 1853. Die größte Aufmerksamkeit ist E. Ahrens wegen der Rechtschreibreform geschenkt worden. Die alte, schon im 17. Jahrhundert entwickelte Rechtschreibung war nicht imstande, viele Erscheinungen im estnischen phonologischen System adäquat wiederzugeben, so etwa die Opposition kurzer und langer Laute. Schon vor Ahrens haben viele Autoren auf diesen Mangel der Rechtschreibung hingewiesen und Verbesserungsmöglichkeiten vorgeschlagen. Obwohl Ahrens schon in der Erstausgabe seiner Grammatik zu der Schlußfolgerung kommt, dass die so genannte finnische Rechtschreibung auch für die estnische Sprache angewendet werden sollte, hat er sie 1843 bei seinen Sprachbeispielen noch nicht eingesetzt. Das erste Werk, das in der neuen Rechschreibung erschien, war das Büchlein „Toomas Westen“ (1844) des Jegelechtsschen (Jõelähtme) Pastors G. H. Schüdlöffel, mit dem Ahrens befreundet war. In der zweiten Ausgabe der Ahrensschen Grammatik sind die Beispiele schon in der neuen Rechtschreibung wiedergegeben. Zur Verbreitung der neuen Orthographie hat die Tatsache, dass F. R. Kreuzwald, der zuerst die finnische Rechtschreibung nicht unterstützte, sie selber später dennoch verteidigte und in seinen Werken einsetzte, in erheblichem Maße beigetragen. Endgültig hat sich die neue Rechtschreibung erst nach Ahrens’ Tod, zu Beginn der 1870er Jahre, durchgesetzt, nachdem die kurz zuvor gegründete Estnische Literärische Gesellschaft (Eesti Kirjameeste Selts) sich entschlossen hatte, sie in ihren Ausgaben zu verwenden. Alle wichtigen Beschreibungen der estnischen Sprache nach Ahrens, zuerst in der Grammatik von F. J. Wiedemann (1875) sowie in der ersten estnischsprachigen Grammatik von K. A. Hermann (1884), stützten sich direkt oder indirekt auf Ahrens’ sprachliche Standpunkte. Seine Rechtschreibung ist noch heute (mit minimalen Veränderungen) in Gebrauch. Kristiina Ross |